MINEA
1
Unbehelligt gelangten wir aus der Stadt; denn der Strom war bei Nacht nicht gesperrt. Ich kroch unter Deck, um mein müdes Haupt zur Ruhe zu legen. Denn die Soldaten des Königs hatten mich, wie ich bereits berichtet, schon vor dem Morgengrauen geweckt, und der Tag war so voll von Unruhe und Hetze und Lärm gewesen, wie ich noch nie zuvor einen erlebt. Aber ich sollte noch keinen Frieden genießen dürfen. Minea hatte sich aus dem Teppich herausgerollt und wusch sich soeben das Blut ab, wozu sie mit der Hand Wasser aus dem Strom schöpfte. Das Mondlicht flimmerte im Wasser, das zwischen ihren Fingern hindurchrann. Sie blickte mich, ohne zu lächeln, an und sagte vorwurfsvoll:
»Deinen Ratschlägen folgend, habe ich mich schlimm besudelt und rieche nach Blut. Wahrscheinlich werde ich nie mehr ganz rein werden; daran bist du schuld. Und als du mich im Teppich trugst, drücktest du mich auch viel fester als nötig an dich, so daß ich schwer atmen mußte!«
Ich hatte ihr Gerede satt und war sehr erschöpft. Deshalb erwiderte ich gähnend: »Halt den Mund, verfluchtes Weibsbild! Wenn ich an alles denke, wozu du mich verführt hast, tut mir das Herz weh. Ich möchte dich am liebsten in den Strom werfen, dessen Fluten dich nach deinem Wunsch reinigen würden. Ohne dich säße ich jetzt in Babylon an des Königs rechter Seite, und die Priester des Turmes lehrten mich ihre Weisheit, so daß ich der erfahrenste Arzt auf Erden würde. Auch die durch meine Heilkunst verdienten Gaben habe ich deinetwegen verloren; mein Goldvorrat geht zur Neige, und ich wage nicht, mich der Lehmtafeln zu bedienen, gegen die ich Gold aus den Tempelkassen erheben könnte. Ich verfluche wahrhaftig den Tag, an dem ich dich sah, und werde jedes Jahr an diesem Tag in Sack und Asche gehen.«
Sie tauchte die Hand in die mondbeschienenen Fluten, die sich wie flüssiges Silber teilten, und sprach mit leiser Stimme, ohne mich anzusehen: »Wenn dem so ist, tue ich wohl am besten daran, in den Strom zu springen. Dann bist du mich los.« Sie erhob sich, um ihre Drohung auszuführen; aber ich packte sie und hielt sie fest, indem ich sagte: »Hör auf mit deinen Verrücktheiten! Wenn du ins Wasser springst, habe ich alles umsonst getan. Das wäre der Gipfel des Wahnsinns. Darum laß mich bei allen Göttern endlich in Ruhe schlafen, Minea, und störe mich nicht mit deinen Grillen!«
Nach diesen Worten kroch ich unter den Teppich und zog ihn über mich; denn die Nacht war kalt, obgleich es schon Frühling war und die Störche im Schilf klapperten. Da kroch sie neben mich unter den Teppich und flüsterte: »Da ich nichts anderes für dich tun kann, darf ich dich wohl mit meinem Leib wärmen; die Nacht ist kalt.« Ich war zu müde, um einen Einwand zu erheben, und schlief ein. Sie wärmte mich mit ihrem Leib, und ich ruhte gut; denn sie war jung, und ihr Leib lag wie ein kleiner Ofen an meiner Seite.
Als ich am Morgen erwachte, sah ich, daß wir schon weit stromaufwärts gefahren waren. Die Ruderer aber murrten und erklärten: »Unsere Schultern sind steif wie Holz, und der Rücken schmerzt. Willst du, daß wir uns zu Tode rudern? Wir sind doch wohl nicht unterwegs, um ein brennendes Haus zu löschen?« Ich verhärtete mein Herz und entgegnete: »Wer zu rudern aufhört, bekommt meinen Stock zu fühlen. Wir rasten erst zur Mittagszeit. Dann dürft ihr essen und trinken, und ein jeder bekommt von mir einen Schluck Dattelwein, der ihn beleben und leicht wie einen Vogel machen wird. Wenn ihr euch aber gegen mich auflehnt, werde ich alle Dämonen auf euch herabrufen; denn ich bin ein Priester und Zauberer und kenne viele Dämonen, die gerne Menschenfleisch fressen.« Das sagte ich, um sie zu erschrecken; aber die Sonne schien klar, und sie glaubten mir nicht, sondern meinten: »Er ist allein gegen unser zehn!« Darauf schlug der mir zunächst Sitzende mit dem Ruder nach mir.
Jetzt ließ sich plötzlich ein Geräusch aus der Totenurne im Vorderteil des Schiffes vernehmen. Es war Kaptah, der an die Innenwand des Kruges klopfte und mit heiserer Stimme Schreie und Flüche auszustoßen begann. Die Ruderer wurden vor Entsetzen grau im Gesicht, und einer nach dem anderen sprang ins Wasser, schwamm eilig weg und verschwand aus meinen Augen. Das Boot schwankte und geriet ins Treiben; doch gelang es mir, es ans Ufer zu steuern, wo ich den Ankerstein auswarf. Minea kam, ihr Haar kämmend, aus der Kabine, und im selben Augenblick legte sich meine Furcht; denn sie war schön, die Sonne schien, und die Störche klapperten im Schilf. Ich ging zum Krug, zerbrach den Lehmdeckel und rief mit lauter Stimme: »Erhebe dich, du Mann, aus deiner Urne!«
Da streckte Kaptah seinen Wuschelkopf aus der Öffnung hervor und starrte um sich. Nie habe ich einen verdutzteren Menschen gesehen. Er jammerte und fragte: »Was ist das für ein Streich? Wo bin ich, wo ist meine königliche Kopfbedeckung, und wo hat man die Abzeichen meiner Macht versteckt? Ganz nackt bin ich dem Frost ausgesetzt, mein Schädel ist voll Wespen, und meine Glieder sind schwer wie Blei, als hätte mich eine Giftschlange gebissen. Hüte dich, Sinuhe, mich zum Narren zu halten! Mit Königen ist nicht zu spaßen.«
Ich wollte ihn für seine Vermessenheit vom Tag zuvor bestrafen. Deshalb stellte ich mich unwissend und sagte: »Ich verstehe nicht, wovon du redest, Kaptah. Du bist sicher noch vom Wein benebelt und entsinnst dich nicht, daß du dich gestern bei der Abreise aus Babylon betrankst und hier im Boote zu lärmen und irrezureden begannst, so daß dich die Ruderer in diese Urne einsperren mußten, damit du ihnen keinen Schaden zufügen könntest. Du sprachst von Königen und Richtern und faseltest noch eine Menge anderes Zeug.«
Kaptah schloß die Augen, grübelte eine Weile und meinte schließlich: »Herr, nie mehr im Leben will ich Wein trinken! Der Wein und der Traum haben mich in so fürchterliche Abenteuer gestürzt, daß ich sie dir nicht schildern kann. Nur so viel kann ich dir sagen, daß ich glaubte, ein König von des Skarabäus’ Gnaden zu sein, vom königlichen Thron Rechtsprechung übte und schließlich auch das Frauenhaus des Herrschers betrat und dort mit einem schönen Mädchen Wollust trieb. Noch vieles andere geschah mir, woran ich mich nicht klar zu erinnern vermag; denn mein Kopf ist schwerkrank, und du würdest mir eine Gnade erweisen, Herr, wenn du mir von der Arznei gäbest, welche die Weintrinker in dem verfluchten Babylon am Tag nach einem Zechgelage einzunehmen pflegen.«
Kaum hatte Kaptah dies geäußert, als er Minea entdeckte. Eilends zog er sich wieder in die Urne zurück und sagte mit kläglicher Stimme: »Herr, ich bin sicherlich nicht gesund oder träume immer noch; denn ich vermeine dort hinten im Boot das Mädchen zu sehen, dem ich in meinem Traum im königlichen Frauenhaus begegnete. Der Skarabäus schütze mich; denn ich befürchte, den Verstand zu verlieren!« Er befühlte sein blaues Auge und seine geschwollene Nase und brach in lautes Jammern aus. Minea aber ging zu dem Krug und zog seinen Kopf an den Haaren heraus, indem sie sagte: »Sieh mich an! Bin ich etwa das Weib, mit dem du letzte Nacht Fleischeslust getrieben?« Ängstlich betrachtete Kaptah sie, schloß dann das Auge und wimmerte: »Mögen alle Götter Ägyptens mir gnädig sein und verzeihen, daß ich fremde Götter angerufen und ihnen geopfert habe! Du bist es wirklich; doch mußt du mir vergeben, denn es geschah bloß im Traum.« Da zog Minea einen Pantoffel aus und versetzte ihm damit auf jede Wange einen schallenden Klaps und sagte: »Das sei deine Strafe für den unpassenden Traum, damit du wissest, daß du jetzt erwacht bist.« Kaptah aber stöhnte noch lauter als zuvor: »Ich weiß wahrhaftig nicht mehr, ob ich noch schlafe oder wach bin; denn genau dasselbe ereignete sich in meinem Traum bei der Begegnung mit diesem furchtbaren Geschöpf im Frauenhaus des Königs.«
Ich half ihm aus dem Krug und verabreichte ihm einen bitteren Trank zum Ausspülen des Magens; dann schlang ich ein Seil um ihn und tauchte ihn trotz seines Protestgeschreis ins Wasser, wo ich ihn eine Weile schwimmen ließ, damit er sich von seinem Wein- und Mohnsaftrausch erhole. Als ich ihn wieder aus dem Wasser zog, erbarmte ich mich seiner und sagte: »Dies sei dir eine Lehre für deine Aufsässigkeit gegen mich, deinen Herrn. Aber wisse auch, daß sich alles in Wirklichkeit zugetragen und du ohne mein Zutun leblos in diesem Krug in der Gruft der falschen Könige lägest.« Hierauf erzählte ich ihm den Verlauf der Dinge, mußte es aber wiederholt tun, bis er alles begriff und mir glaubte. Schließlich sagte ich: »Wir schweben in Lebensgefahr. Die Lust zum Lachen ist mir wahrlich längst vergangen, denn so sicher wie wir in diesem Boot sitzen, werden wir mit dem Kopf nach unten an der Mauer baumeln, falls uns der König erwischt. Es kann uns sogar noch Schlimmeres widerfahren. Da unsere Ruderer geflohen sind, ist guter Rat teuer, und du, Kaptah, mußt nun einen Ausweg finden, um uns ins Land Mitani hinüberzuretten.«
Kaptah kratzte sich am Kopf und überlegte lange. Schließlich meinte er: »Wenn ich dich recht verstanden habe, war alles Wirklichkeit und kein Trugbild, was ich im Traum oder Rausch gesehen. Wenn dem so ist, will ich diesen Tag als einen glücklichen preisen; denn dann kann ich unbehindert zur Heilung meiner Kopfschmerzen Wein trinken, obgleich ich bereits glaubte, nie im Leben mehr den Mut aufzubringen, einen Tropfen zu kosten.« Worauf er in die Kabine kroch, das Siegel eines Weinkrugs aufbrach und in tiefen Zügen trank, während er alle Götter Ägyptens und Babyloniens beim Namen nannte und pries und sogar unbekannte Götter, deren Namen er nicht wußte, anrief. Und jedesmal, wenn er den Namen eines Gottes aussprach, neigte er den Krug, bis er schließlich zu Boden sank, auf dem Teppich einschlief und wie ein Flußpferd zu schnarchen begann.
Ich war über sein Gebaren so erzürnt, daß ich ihn ins Wasser rollen und ertränken wollte; aber Minea wehrte mir mit den Worten: »Kaptah hat recht, jeder Tag hat seine Sorgen. Warum sollen wir also nicht Wein trinken und uns freuen, an diesem Ort zu sein, zu dem uns der Strom geführt hat! Es ist schön hier in der Geborgenheit des Schilfs, wo die Störche klappern. Ich sehe auch Wildenten mit gestreckten Hälsen zu ihrem Nestbau fliegen und das Wasser grün und gelb im Sonnenschein leuchten. Mein eigenes Herz fühlt sich leicht wie ein Vogel, weil ich aus der Sklaverei befreit bin.«
Ich sann über ihre Worte nach und mußte ihr recht geben, weshalb ich sagte: »Da ihr beide verrückt seid, brauche ich schließlich auch nicht gescheiter zu sein! Im Grunde genommen ist mir ja doch alles gleichgültig, und es spielt weiter keine Rolle, ob meine Haut schon morgen oder erst in zehn Jahren zum Trocknen an der Mauer hängt; denn das alles stand, wie mir die Priester des Turmes versichert haben, bereits vor unserer Geburt in den Sternen geschrieben. Die Sonne scheint warm, und das Getreide auf den Äckern am Strand steht im Reifen. Deshalb will ich im Strom baden und versuchen, mit den Händen Fische zu fangen, wie ich es als Kind zuweilen tat.«
Wir badeten und ließen die Sonne unsere Kleider trocknen und aßen und tranken Wein, und Minea opferte ihrem Gott und führte mir im Boot ihren Tempeltanz vor, so daß sich mir bei ihrem Anblick die Brust zusammenschnürte und der Atem versagte. Deshalb sprach ich zu ihr: »Nur einmal im Leben habe ich eine Frau ›meine Schwester‹ genannt; aber ihr Schoß ward mir zum brennenden Ofen, ihr Leib zur trockenen Wüste, und sie vermochte mich nicht zu erquicken. Deshalb flehe ich dich an, Minea, mich von dem Zauber zu erlösen, in den mich deine Glieder verstricken, und mich nicht mit deinen Augen anzublicken, die wie Mondschein auf dem Fluß sind; sonst werde ich dich ›meine Schwester‹ nennen, und auch du wirst mich wie jenes schlechte Weib in Tod und Verderben führen.«
Minea musterte mich neugierig und meinte: »Du hast bestimmt mit merkwürdigen Frauen verkehrt, Sinuhe, daß du solche Dinge sagst. Aber vielleicht sind die Frauen in deinem Lande so. Meinetwegen brauchst du dir aber keine Sorgen zu machen; denn ich will dich keineswegs verführen. Denn mein Gott verbietet mir, einem Manne nahezukommen, und wenn ich das Verbot übertrete, muß ich sterben. Deshalb hüte ich mich wohl davor, dich in Versuchung zu führen, wie du zu glauben scheinst, obwohl ich nicht begreife, wie du auf solche Gedanken kommen kannst.«
Sie nahm mein Haupt zwischen ihre Hände und Knie, und während sie mir Haar und Wangen streichelte, sprach sie: »Dein Kopf ist wirklich sehr dumm, daß du so schlecht von den Frauen sprichst. Wenn es auch Frauen gibt, die alle Brunnen vergiften, so gibt es zweifellos wiederum andere, die wie eine Quelle in der Wüste oder wie Tau auf einer verbrannten Wiese sind. Aber obgleich dein Schädel dick und schwer von Begriffen und dein Haar schwarz und struppig ist, halte ich deinen Kopf gern in meinen Händen; denn du hast etwas an dir, in den Augen und den Händen, was erquickend ist und mich anzieht. Deshalb bin ich sehr traurig, dir das, was du haben möchtest, verweigern zu müssen. Zwar bin ich nicht bloß deinetwegen, sondern auch um meiner selbst willen betrübt, falls dir dieses schamlose Geständnis Freude bereiten kann.«
Das grüne und goldene Wasser schlug plätschernd an unser Boot, ich hielt ihre Hände in den meinigen, und ihre Hände waren schön und kräftig. Wie ein Ertrinkender umklammerte ich ihre Hände und blickte ihr in die Augen, die wie Mondschein auf dem Strom und warm wie eine Liebkosung waren, und sprach: »Minea, meine Schwester! Es gibt viele Götter in der Welt, jedes Land hat seine eigenen, und ihre Zahl ist unermeßlich. Aber ich bin ihrer aller überdrüssig geworden, weil ich glaube, daß die Menschen sich nur aus Angst Götter erschaffen. Schwöre also deinem Gott ab; denn was er von dir verlangt, ist unsinnig und grausam. Ich werde dich in ein Land führen, in das sich die Macht deines Gottes nicht erstreckt, und müßten wir auch bis ans Ende der Welt reisen und uns bis zu unserem Tod im Lande der Wilden von Gras und getrockneten Fischen nähren und auf einem Binsenlager schlafen! Irgendwo muß es eine Grenze geben, welche die Macht deines Gottes nicht zu überschreiten vermag.«
Sie aber hielt meine Hände fest umklammert, wandte ihr Gesicht ab und sagte: »Der Gott hat seine Grenzen in mein Herz gezeichnet, und wohin ich gehe, erreicht mich seine Macht, so daß ich sterben muß, falls ich einem Manne nahekomme. Heute, da ich dich betrachte, dünkt mich die Forderung meines Gottes womöglich unnütz und grausam; aber ich kann nichts dagegen tun, und vielleicht ist schon morgen alles anders, indem du meiner überdrüssig bist und mich vergißt. Denn so sind die Männer nun einmal.«
»Niemand kennt den morgigen Tag«, erwiderte ich ungeduldig, und alles in mir flammte auf und ihr entgegen, als wäre mein Leib ein von der Sonne gedörrter Haufen Schilf am Ufer, den ein Funken plötzlich entzündet. »Alles was du sagst, sind leere Ausflüchte! Du willst mich nach echter Frauenart nur peinigen, um dich an meiner Qual zu weiden.«
Da entzog sie mir ihre Hand, sah mich vorwurfsvoll an und sagte: »Ich bin keine ungebildete Frau, sondern spreche außer meiner Muttersprache auch Babylonisch und Ägyptisch und kann meinen Namen in drei verschiedenen Arten von Schriftzeichen sowohl auf Lehm als auch auf Papyrus schreiben. Auch bin ich mit meinem Gott in vielen großen Städten und sogar an der Küste Ägyptens gewesen und habe vor mancherlei Zuschauern getanzt, die meine Kunst bewunderten, bis mich die Kaufleute nach dem Untergang unseres Schiffes raubten. Ich weiß ganz gut, daß sich Männer und Frauen in allen Ländern gleich bleiben, wenn auch ihre Hautfarbe und Sprache wechselt, daß sie sich in ihren Gedanken und Sitten nicht stark voneinander unterscheiden, sondern sich alle am Wein ergötzen und in ihren Herzen nicht mehr an die Götter glauben, wenn sie ihnen auch weiterhin dienen, weil es so üblich und Vorsicht eine Tugend ist. Von frühester Kindheit an bin ich in den Stallungen des Gottes aufgewachsen und in alle geheimen Riten des Gottes eingeweiht worden, weshalb mich keine Macht und kein Zauber der Welt von meinem Gott trennen können. Hättest du selbst jemals vor Stieren getanzt und dich dabei zwischen ihren scharfen Hörnern emporgeschwungen und spielend mit dem Fuß ihr brüllendes Maul berührt, so wüßtest du, wovon ich spreche. Aber ich glaube, du hast noch niemals Mädchen und Jünglinge vor Stieren tanzen sehen.«
»Ich habe davon erzählen hören«, entgegnete ich. »Auch weiß ich, daß man solche Spiele im Unteren Reich zu veranstalten pflegte. Aber ich glaubte, es geschehe zur Unterhaltung des Volkes, obgleich ich mir hätte sagen sollen, daß die Götter auch dabei, wie überhaupt bei allem, mit im Spiel sind. Doch wenn dem so ist, kann ich dir verraten, daß wir auch in Ägypten einen Stier verehren, der die Zeichen des Gottes trägt und nur einmal in einem Menschenalter geboren wird; allerdings habe ich nie gehört, daß jemand ihm ins Genick gesprungen wäre, denn dies würde eine Lästerung und Beleidigung seiner Würde bedeuten. Dieser Stier besitzt nämlich die Fähigkeit des Wahrsagens. Wenn du mir aber zu verstehen geben willst, daß du deine Jungfernschaft für Stiere bewahren mußt, so ist dies meines Erachtens etwas Unerhörtes, obwohl ich weiß, daß die Priester Syriens bei den Geheimriten der Erdmutter unberührte, aus dem Volk ausgewählte Mädchen Böcken zu opfern pflegen.«
Da schlug sie mich auf beide Wangen. Ihre Augen funkelten wie die einer Wildkatze im Dunkeln, und sie rief mit zornbebender Stimme: »Deine Worte beweisen mir, daß kein Unterschied zwischen einem Bock und einem Mann besteht. Denn deine Gedanken kreisen nur um fleischliche Dinge, weshalb eine Ziege ebensogut wie eine Frau deine Gier stillen könnte. Verschwinde in die Unterwelt, und laß mich mit deiner Eifersucht in Ruhe! Du sprichst von Dingen, von denen du nicht mehr verstehst als ein Schwein vom Silber!«
Ihre Rede war böse, und meine Wangen brannten von den Schlägen, so daß ich sie verließ und mich ins Heck des Bootes zurückzog. Zum Zeitvertreib öffnete ich mein Arztkästchen und begann meine Instrumente zu reinigen und Arzneien abzuwägen. Minea saß im Vorderteil des Bootes und trommelte verärgert mit den Fersen gegen den Boden, um sich nach einer Weile zornig die Kleider vom Leib zu reißen und diesen mit Öl einzureiben, worauf sie so heftig zu tanzen und ihre Beweglichkeit zu üben anhob, daß das Boot ins Schwanken geriet. Ich konnte es nicht lassen, insgeheim zu ihr hinzuschielen; denn ihre Fertigkeit war unglaublich groß. Sie warf sich mühelos rückwärts, um, auf die Hände gestützt, ihren Leib wie einen Bogen zu spannen und sich dann auf die Hände zu erheben. Alle Muskeln ihres Körpers zitterten unter der ölglänzenden Haut, sie rang nach Atem, und das Haar hing ihr wirr um den Kopf; denn der Tanz erforderte viel Kraft und große Kunstfertigkeit. Obgleich ich die Geschicklichkeit der Tänzerinnen in den Freudenhäusern mancher Länder bewundert, hatte ich noch nie Ähnliches gesehen.
Während ich sie so betrachtete, schmolz der Zorn in meinem Innern, und ich dachte nicht mehr daran, was alles ich verloren, indem ich dieses launenhafte und undankbare Mädchen aus dem Frauenhaus des Königs zu Babylon rettete. Ich entsann mich andererseits, daß sie dort bereit gewesen war, sich selbst mit dem Messer umzubringen, um ihre Unberührtheit zu bewahren, und verstand, daß ich schlecht und unrecht handeln würde, von ihr zu verlangen, was sie mir nicht gewähren konnte. Nachdem sie sich so müde getanzt, daß der Schweiß an ihrem ganzen Leibe perlte und jeder Muskel vor Erschöpfung zitterte, rieb sie sich den Körper und wusch sich die Glieder im Strom. Hierauf zog sie sich an und bedeckte auch ihr Haupt, und ich hörte, daß sie weinte. Da vergaß ich meine Arzneien und Instrumente, eilte zu ihr hin und berührte ihre Schulter, indem ich fragte: »Bist du krank?« Sie aber gab mir keine Antwort, stieß meine Hand beiseite und weinte noch heftiger.
Ich setzte mich neben sie und sprach schweren Herzens: »Weine nicht, Minea, meine Schwester, wenigstens nicht meinetwegen; denn ich werde dich ganz sicher nie berühren, selbst wenn du mich darum bitten solltest. Ich will dich vor Schmerz und Kummer bewahren und möchte, daß du immer diejenige bleibst, die du bist.«
Sie hob den Kopf, wischte sich unwillig die Tränen aus den Augen und fuhr mich an: »Ich fürchte weder Schmerzen noch Kummer, du Dummkopf! Und ich weine gar nicht deinetwegen, sondern über mein eigenes Schicksal, das mich von meinem Gott getrennt und so schwankend gemacht hat, so daß der Blick eines törichten Mannes meine Knie weich wie Teig werden läßt.« Sie sah mich dabei nicht an, sondern hielt den Blick abgewandt und blinzelte, um die Tränen aus den Augen zu verscheuchen.
Ich hielt ihre Hände fest, und sie entzog sie mir nicht, sondern kehrte sich mir schließlich zu: »Sinuhe, Ägypter, ich komme dir gewiß sehr undankbar und launisch vor. Aber ich weiß mir nicht zu helfen: denn ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich würde dir auch gerne mehr über meinen Gott erzählen, damit du mich besser verstehst. Doch es ist nicht gestattet, mit einem Uneingeweihten von ihm zu sprechen. Nur so viel kann ich dir sagen, daß er ein Meergott ist und in einem dunklen Haus im Berg wohnt und daß jeder, der dieses Haus betreten, für alle Zeiten bei ihm geblieben ist. Einige behaupten, er habe die Gestalt eines Stieres, obgleich er im Meer lebt, und deshalb werden die ihm Geweihten dazu erzogen, vor Stieren zu tanzen. Andere sagen, er habe Menschengestalt, aber das Haupt eines Stieres, was ich jedoch nach meinen Besuchen in vielen Ländern und Großstädten für ein Märchen halte. Eines weiß ich nur: daß das Los unter den ihm Geweihten jährlich zwölf Jünglinge und Mädchen dazu auserwählt, der Reihe nach bei jedem Vollmond sein Haus zu betreten, und daß es für keinen Geweihten eine größere Freude gibt als das Betreten des Gotteshauses. Das Los fiel auch auf mich. Doch bevor ich an die Reihe kam, erlitt unser Fahrzeug Schiffbruch, die Kaufleute raubten und verkauften mich dann auf dem Sklavenmarkt zu Babylon. Während meiner ganzen Jugend habe ich von den wunderbaren Gemächern und dem Ruhelager des Gottes wie auch vom ewigen Leben geträumt. Zwar darf der durch das Los Erwählte, wenn er will, nach einem Monat aus dem Haus des Gottes wiederkehren, aber bis jetzt ist noch kein einziger zurückgekommen. Deshalb glaube ich, daß das Leben auf Erden demjenigen, der den Gott geschaut, nichts mehr zu bieten hat.«
Während sie so sprach, war mir, als hätte ein Schatten die Sonne verdeckt; alles wurde aschgrau in meinem Innern, und ich fühlte, wie ich bebte, weil ich erkannte, daß Minea niemals die meine werden konnte. Ihr Märchen glich genau denjenigen, welche die Priester aller Länder zu erzählen pflegen; doch sie glaubte daran, und dieser Glaube trennte sie für immer von mir. Ich wollte sie nicht mehr mit meinen Worten aufregen oder betrüben; deshalb wärmte ich ihre Hände in den meinigen und sagte schließlich: »Ich verstehe, daß du zu deinem Gott zurückzukehren wünschest. Ich werde dich über das Meer nach Kreta bringen; denn jetzt weiß ich, daß du von der Insel Kreta stammst. Ich ahnte es bereits aus deiner Erzählung von den Stieren; deine Schilderung des Gottes in dem dunklen Haus jedoch gibt mir Gewißheit. In Simyra erzählten mir Kaufleute und Seefahrer von ihm, und bis dahin habe ich an ihren Worten gezweifelt. Allerdings erzählten sie auch, daß die Priester einem jeden, der aus dem Haus des Gottes zurückzukehren versuche, den Garaus machen, damit niemand etwas Bestimmtes über den Gott des Meeres erfahre. Aber das ist natürlich eitles Geschwätz der Seeleute und des niederen Volkes, und du als Geweihte weißt es besser.«
»Ich muß in die Heimat zurückkehren, das weißt du«, sagte sie in bittendem Ton, »ich würde sonst nirgends auf Erden Ruhe finden; denn von Kindheit an bin ich in den Stallungen des Gottes aufgewachsen. Dennoch freue ich mich über jeden Tag, den ich mit dir, Sinuhe, verbringen, ja über jede Minute, die ich dich noch sehen darf. Nicht nur, weil du mich vor dem Bösen errettet hast, sondern vielmehr, weil noch nie ein Mensch so wie du zu mir gewesen ist. Ich sehne mich auch nicht mehr, wie zuvor, nach dem Haus des Gottes, sondern werde mich kummervollen Herzens dorthin begeben. Wenn es mir vergönnt sein sollte, werde ich nach der bestimmten Zeitspanne zu dir zurückkehren; doch glaube ich dies selber nicht, weil noch keiner zurückgekommen ist. Aber unsere Frist ist kurz, und wie du sagtest, weiß niemand etwas über den morgigen Tag. Deshalb, Sinuhe, wollen wir uns über jeden Tag freuen, der uns noch bleibt. Ergötzen wir uns am Flug der Wildenten über unserem Haupt, am Strom und am Röhricht, am Essen und am Trinken, ohne an das Kommende zu denken! So ist es am besten.«
Ein anderer Mann hätte sie mit Gewalt genommen, in seine Heimat gebracht und bis an sein Lebensende mit ihr gelebt. Ich aber wußte, daß sie die Wahrheit sprach und daß sie keinen ruhigen Tag mehr gehabt haben würde, wenn sie den Gott, für den sie gelebt und aufgewachsen, betrogen hätte: eines Tages würde sie mich verflucht haben und wäre mir entflohen. So gewaltig ist die Macht der Götter über diejenigen, welche an sie glauben, während sie sich nicht auf die Ungläubigen erstreckt. Deshalb glaube ich auch, daß sie vielleicht wirklich gestorben wäre, wenn ich sie berührt hätte. Denn ich hatte Menschen ohne eigentliche Krankheit dahinsiechen und sterben sehen, nur weil sie sich gegen einen Gott, an den sie glaubten, versündigt hatten.
Das alles stand sicherlich schon lange vor meiner Geburt in den Sternen geschrieben und war nicht zu ändern. Deshalb aßen und tranken wir in unserem im Schilf verborgenen Boot und hielten jeden Gedanken an die Zukunft fern. Minea beugte das Haupt und streifte mein Gesicht mit ihrem Haar und lächelte mich an; und nachdem sie Wein getrunken, berührte sie mit ihren vom Wein duftenden Lippen leicht die meinigen, und der Schmerz, den sie meinem Herzen bereitete, war süß, süßer vielleicht, als wenn ich sie besessen.
2
Gegen Abend erwachte Kaptah in der Kabine, kroch unter dem Teppich hervor, rieb sich die Augen und sagte gähnend: »Beim Skarabäus – Ammon nicht zu vergessen! –, mein Schädel ist nicht mehr wie der Amboß in einer Schmiede! Ich fühle mich wieder mit der Welt versöhnt, wenn ich nur etwas zu essen bekomme. Mich dünkt, in meinem Magen hausen ein paar ausgehungerte Löwen.« Ohne erst um Erlaubnis zu fragen, beteiligte er sich an unserer Mahlzeit und begann an den in Lehm gebackenen Vögeln zu nagen und darauf die Knochen über den Bootsrand ins Wasser zu werfen.
Sein Anblick erinnerte mich jedoch von neuem an unsere Lage, und ich sagte angsterfüllt: »Du beschwipste Fledermaus! Du hättest uns aufmuntern und mit Rat und Tat helfen sollen, damit wir nicht bald alle drei nebeneinander mit dem Kopf nach unten an der Mauer hängen. Statt dessen hast du dich wieder betrunken, um dann, wie ein Schwein im Kot, auf dem Gesicht zu liegen. Sag rasch, was sollen wir tun? Zweifellos verfolgen uns die Soldaten des Königs in ihren Booten, um uns umzubringen!«
Aber Kaptah regte sich nicht auf, sondern meinte: »Wenn du die Wahrheit gesprochen hast, so ist der König darauf gefaßt, dich dreißig Tage nicht zu sehen, und drohte sogar, dich mit Stöcken aus seinem Hause jagen zu lassen, falls du schon vor dem angesetzten Zeitpunkt bei ihm erscheinen solltest. Wir haben meines Erachtens keine Eile. Sollte es jedoch schiefgegangen sein und die Träger deine Flucht verraten oder die Eunuchen im Frauenhaus die Geschichte ausgebracht haben, so können wir nichts mehr dagegen tun. Deshalb verlasse ich mich immer noch auf den Skarabäus und finde, daß du töricht gehandelt hast, mir den Mohntrank zu geben, wodurch mein Kopf krank wurde, als hätte ein Schuster mit seinem Pfriem darin herumgestochert. Hättest du nicht so übereilt gehandelt, so wäre Burnaburiasch bestimmt ein Knochen im Halse steckengeblieben oder er wäre über seine eigenen Füße gestolpert und hätte das Genick gebrochen. Dann wäre ich König von Babylonien und Herrscher über die vier Erdteile geworden, und es hätte keine Not mit uns. So fest vertraue ich dem Skarabäus. Aber ich verzeihe dir trotzdem, weil du mein Herr bist und es nicht besser verstanden hast. Auch verzeihe ich dir, daß du mich in den Lehmkrug gesteckt hast, wo ich beinahe erstickt wäre, was sich nicht für meine Würde geschickt hätte. Deswegen hielt ich es für angebracht, zuerst meinen Kopf zu heilen. Heute früh hättest du eher aus einem verfaulten Baumstumpf als aus meinem Kopf einen Rat herausholen können; jetzt hingegen bin ich gern bereit, meine ganze Weisheit in deinen Dienst zu stellen, weiß ich doch, daß du ohne mich wie ein verirrtes Lämmlein bist.«
Ich gebot ihm, endlich mit dem Geschwätz aufzuhören und lieber zu sagen, wohin wir nach seiner Meinung fliehen sollten. Kaptah kratzte sich am Kopf und meinte: »Wahrlich, dieses Boot ist zu groß und zu schwer, um von drei Menschen gegen den Strom gerudert zu werden, und, offen gestanden, liebe ich die Ruder nicht, denn sie verursachen mir Blasen an den Händen. Laß uns daher an Land gehen und irgendwo ein paar Esel stehlen und diesen unsere Habe aufbürden. Um kein Aufsehen zu erregen, tun wir am besten daran, schlechte Kleider anzuziehen und in allen Herbergen und Dörfern zu markten; du selbst sollst nicht als Arzt, sondern als irgend etwas anderes auftreten. Wir können uns zum Beispiel für eine Gauklertruppe ausgeben, die abends die Dorfbewohner auf den Dreschböden ergötzt. Gaukler werden von niemandem verfolgt, und nicht einmal Räuber halten es der Mühe wert, sie auszuplündern. Du kannst den Bauerntölpeln aus Öl wahrsagen, wie du es gelernt hast. Ich kann ihnen lustige Geschichten erzählen, deren ich, wie du weißt, unzählige kenne, und das Mädchen kann sein Brot durch Tanzen verdienen. Wir können natürlich auch Ruderer mieten und in diesem Boot bis zur Grenze weiterfahren; denn letztlich hängt doch alles von dem Skarabäus ab, der uns auf dem Strom ebenso sicher wie auf der Landstraße beschützen kann. Aber Vorsicht ist eine Tugend; und es wäre auch nicht edel von uns gehandelt, den armen Ruderern das Boot zu stehlen, die übrigens zweifellos hier im Röhricht herumstreichen, um uns nach Einbruch der Finsternis zu überfallen und umzubringen. Wir machen uns daher am besten sofort auf den Weg. Sollten aber die Ruderer versuchen, die königlichen Wächter auf uns zu hetzen, so bezweifle ich doch, daß jemand ihrer Erzählung Glauben schenken wird; denn sie werden von Dämonen, die in Leichenurnen toben, und von Wundern berichten, und dann werden die Krieger und Richter sie an die Tempelpriester weisen, ohne erst ihren Bericht nachzuprüfen.«
Der Abend nahte, und wir mußten uns beeilen; denn Kaptah hatte ohne Zweifel recht mit der Annahme, die Ruderer könnten ihre Furcht überwinden und wieder erscheinen, um ihr Boot zurückzuholen; und ihrer waren zehn starke Kerle gegen uns drei. Deshalb rieben wir uns mit dem Öl der Ruderer ein, beschmutzten uns Kleider und Gesicht mit Lehm, verteilten den Rest meines Goldes und Silbers und versteckten diesen in unseren Gürteln und Gewändern. Meinen Arztkasten, auf den ich nicht verzichten wollte, wickelten wir in die Teppiche ein und luden ihn Kaptah ungeachtet seiner Proteste auf die Schultern. Dann wateten wir an Land und ließen das Boot im Röhricht treiben. Wir hinterließen etwas Eßwaren und mehrere Weinkrüge, weil Kaptah meinte, die Ruderer würden sich damit zufriedengeben und trinken und unsere Verfolgung nicht aufnehmen. Wenn sie dann, aus dem Rausch erwacht, die Richter aufsuchten, um über uns Bericht zu erstatten, würde jeder der zehn Leute die Sache verschieden darstellen, so daß die Richter sie mit Stöcken verjagen würden. Das war meine Hoffnung.
Wir traten unsere Wanderung an und gelangten in bebaute Gegenden, wo wir einen Karawanenweg entdeckten, dem wir die ganze Nacht folgten, obwohl Kaptah murrte und den Augenblick seiner Geburt verfluchte, da ihm das schwere Bündel den Nacken beugte. Am Morgen gelangten wir in ein Dorf, dessen Bewohner uns freundlich empfingen und höchlich achteten, weil wir ohne Furcht vor den Teufeln durch die Nacht gewandert waren. Sie boten uns in Milch gekochte Grütze an, verkauften uns zwei Esel und feierten ein Freudenfest bei unserem Abzug; denn sie waren einfache Leute, die monatelang kein gestempeltes Gold gesehen hatten, sondern ihre Steuern in Getreide und Vieh entrichteten, wie auch zusammen mit ihrem Vieh und den übrigen Haustieren in Lehmhütten wohnten.
So wanderten wir Tag für Tag auf den Straßen Babyloniens, begegneten Kaufleuten und wichen den Sänften der Vornehmen unter Verbeugungen am Straßenrand aus. Die Sonne verbrannte unsere Haut, unsere Kleider hingen in Fetzen, wir gewöhnten uns daran, auf Dreschböden aus Lehm vor dem Volke aufzutreten. Ich goß Öl in Wasser und prophezeite ihnen gute Tage und reichliche Ernten und versprach ihnen Söhne und reiche Bräute; denn ich empfand Mitleid mit ihrer Armut und wollte ihnen nichts Schlechtes weissagen. Sie schenkten mir Glauben und freuten sich über alle Maßen. Hätte ich mich an die Wahrheit halten wollen, so hätte ich ihnen böse Steuereintreiber, Stockhiebe, betrügerische Richter, Hunger in schlechten Jahren, Fieberkrankheiten zur Zeit der Überschwemmung, Heuschrecken und Schnaken, brennende Dürre und faules Wasser im Sommer, harte Plackerei und darauffolgenden Tod prophezeit. Denn das war ihr Leben. Kaptah erzählte ihnen Märchen von Zauberern und Prinzessinnen und fremden Ländern, wo die Menschen den Kopf unter dem Arm tragen und sich einmal im Jahr in Wölfe verwandeln; sie glaubten an seine Märchen, achteten ihn hoch und mästeten ihn dick. Und Minea tanzte auf dem harten Dreschboden vor ihnen; denn sie mußte alle Tage tanzen, um ihre Kunstfertigkeit für den Gott zu erhalten; und sie staunten über ihren Tanz und sagten: »So etwas haben wir noch nie gesehen!«
Diese Wanderung war für mich von großem Nutzen, weil ich einsehen lernte: Wenn die Reichen und Vornehmen aller Länder und Großstädte sich im Grunde gleichen und dieselben Gedanken hegen, so sind auch die Armen aller Länder gleich und denken in derselben Weise, wenn auch ihre Sitten verschieden sind und ihre Götter andere Namen tragen. Ich lernte erkennen, daß die Armen barmherziger sind als die Reichen. Denn da sie uns für arme Leute hielten, schenkten sie uns aus gutem Herzen Grütze und getrocknete Fische, ohne ein Gegengeschenk dafür zu erwarten, während die Reichen die Armen mit Stöcken von ihren Türen wegjagten und sie verachteten. Ich lernte einsehen, daß auch die Armen Freud und Leid, Sehnsucht und Tod empfinden und daß die Kinder der Armen auf gleiche Weise das Licht der Welt erblicken wie diejenigen der Reichen. Mein Herz ward ihnen wohlgesinnt um ihrer großen Schlichtheit willen, und ich konnte nicht unterlassen, die Kranken, die ich sah, zu heilen, Geschwüre zu öffnen und Augen, die ohne meinen Eingriff bald erblindet wären, zu behandeln. Ich verlangte dafür keine Geschenke, sondern tat es aus eigenem Antrieb.
Aber warum ich dies alles tat und mich der Gefahr der Entdeckung aussetzte, kann ich nicht sagen. Vielleicht war mein Herz Mineas wegen weich gestimmt, die ich täglich sah und die nachts, wenn wir auf den nach Spreu und Dünger riechenden Lehmböden lagen, meine Seite mit ihrer Jugend wärmte. Vielleicht tat ich es ihretwegen, um die Götter durch gute Taten zu besänftigen. Aber es kann ebensogut sein, daß ich meine Heilkunst ausüben wollte, um nicht die Sicherheit meiner Hände und die Schärfe meiner Augen bei der Untersuchung von Krankheiten einzubüßen. Denn je länger ich gelebt habe, um so klarer habe ich erkannt, daß der Mensch alles, was er auch tun möge, aus vielen Gründen tut, von denen er oft selbst nichts weiß. Deshalb sind der Menschen Taten Staub unter meinen Füßen, weil ich nicht weiß, was sie damit bezweckt und gewollt haben.
Auf unserer Wanderung hatten wir viele Mühseligkeiten auszustehen; meine Hände wurden hart, die Haut meiner Fußsohlen voll Schwielen und meine Augen blind vom Staub; doch wenn ich nachträglich an diese Wanderung auf den staubigen Straßen Babyloniens denke, so war sie trotz allem schön. Ich gäbe vieles, was ich auf Erden erlebt und besessen, dafür her, wenn ich noch einmal jung, unermüdlich und mit wachen Augen die Reise machen dürfte, wobei Minea mit Augen, die wie Mondschein auf dem Strom glänzten, an meiner Seite schritte. Der Tod folgte unserer Fährte wie ein Schatten, und er wäre uns nicht leicht geworden, wenn man uns erwischt und dem König ausgeliefert hätte. Aber, in jenen fernen Tagen dachte ich nicht an den Tod und fürchtete ihn nicht, obgleich mir das Leben teurer als je zuvor war, solange ich an Mineas Seite wandern und sie auf den Dreschböden tanzen sehen durfte, deren Lehm zur Bindung des Staubes mit Wasser bespritzt wurde. Über ihrer Anwesenheit vergaß ich die Schande und das Verbrechen meiner Jugend. Jeden Morgen, wenn mich das Blöken der Lämmlein und das Gebrüll der Rinder weckten und ich hinaustrat, um die Sonne aufgehen und wieder wie einen goldenen Nachen über den des Nachts blaugefegten Himmel segeln zu sehen, ward mir federleicht ums Herz.
Schließlich gelangten wir ins Grenzland, das verheert und verbrannt vor uns lag. Hirten wiesen uns den Weg, weil sie uns für arme Leute hielten, und so kamen wir, ohne Steuern zahlen zu müssen, an den Wächtern der beiden Könige vorbei nach Mitani und nach Naharina. Erst als wir uns in einer großen Stadt befanden, wo die Menschen einander nicht kannten, besuchten wir die Basare und kauften uns neue Kleider, wuschen und kleideten uns standesgemäß und kehrten in der Herberge der Vornehmen ein. Da mein Gold zur Neige ging, blieb ich eine Zeitlang in dieser Stadt, um meinen Beruf auszuüben; ich heilte manchen Kranken, denn die Bewohner von Mitani waren immer noch neugierig und liebten alles Fremde. Auch Minea erweckte Aufmerksamkeit durch ihre Schönheit, und manch einer wünschte, sie mir abzukaufen. Kaptah erholte sich von den ausgestandenen Strapazen, nahm zu und traf zahlreiche Frauen, die ihm zum Dank für seine Erzählungen ihre Gunst erwiesen. Wenn er in den Freudenhäusern Wein genossen hatte, erzählte er von seinem eintägigen Erlebnis als König von Babylon, und die Leute lachten darüber, schlugen sich auf die Knie und meinten: »Einen solchen Schwindler haben wir noch nie gehört. Seine Zunge ist lang und glatt wie der Strom.«
So verging die Zeit, bis Minea mir lange Blicke zuzuwerfen begann, Unruhe in ihren Augen flackerte und sie nachts wach lag und weinte. Schließlich sagte ich zu ihr: »Ich weiß, daß du dich nach deiner Heimat und deinem Gott sehnst, und vor uns liegt eine weite Reise. Dennoch muß ich aus Gründen, die ich dir nicht verraten darf, zuerst noch einen Abstecher in das Land Chatti, wo die Hetiter wohnen, unternehmen. Ich habe mich bei Kaufleuten und Reisenden und in den Herbergen erkundigt und viele einander widersprechende Auskünfte erhalten, die darauf schließen lassen, daß man auch von dort nach Kreta segeln kann. Da ich dessen aber nicht ganz sicher bin, bringe ich dich, falls du es wünschest, geradenwegs zur syrischen Küste, von wo allwöchentlich Schiffe nach deiner Heimat segeln. Andererseits habe ich erfahren, daß demnächst eine Karawane von hier aufbricht, um dem König der Hetiter die jährlichen Geschenke des Königs von Mitani zu überbringen. Im Schutze dieser Karawane könnten wir sicher reisen und vieles sehen, was wir zuvor nicht kannten; eine solche Gelegenheit würde sich mir erst in einem Jahr wieder bieten. Doch ich will keinen Entschluß fassen, sondern du sollst in dieser Sache nach deinem Wunsch bestimmen.«
In meinem Herzen wußte ich, daß ich sie täuschte; denn meine Absicht, das Land Chatti zu besuchen, hing nur mit dem Wunsch zusammen, sie noch länger an meiner Seite zu behalten, bevor ich sie ihrem Gott überlassen mußte. Sie aber erwiderte: »Wer bin ich, daß ich deine Pläne ändern sollte? Ich folge dir gern, wohin du dich begibst, da du mir einmal versprochen hast, mich in meine Heimat zurückzubringen. Auch weiß ich, es ist an der Küste im Lande der Hetiter Sitte, daß Mädchen und Jünglinge in den Feldern vor wilden Stieren tanzen, weshalb es von dort nach Kreta nicht weit sein kann. Das bietet mir außerdem Gelegenheit zur Übung; denn es ist bald ein Jahr her, seitdem ich vor Stieren getanzt habe, und ich fürchte, sie werden mich auf ihre Hörner spießen, wenn ich auf Kreta ohne Vorbereitung vor ihnen zu tanzen beginne.«
Ich sprach: »Von Stieren weiß ich zwar nichts, aber nach allem, was ich vernommen, sind die Hetiter ein grausames und tückisches Volk, weshalb uns viele Gefahren, ja vielleicht sogar der Tod auf dieser Reise drohen. Du tust daher vielleicht am besten daran, in Mitani zu bleiben und auf meine Rückkehr zu warten. Ich werde dir genügend Gold zurücklassen, damit du inzwischen gut leben kannst.« Sie aber sagte: »Sinuhe, erspare dir deine Worte! Wohin du gehst: ich werde dir folgen; und trifft uns der Tod, so bin ich nicht meinetwegen, sondern um deinetwillen betrübt.«
So beschloß ich denn, mich den Sendungen des Königs als Arzt anzuschließen, um in Sicherheit nach dem Lande Chatti zu reisen. Als aber Kaptah dies vernahm, brach er in wildes Fluchen aus, rief die Götter um Hilfe an und sagte: »Kaum sind wir dem einen Tod entronnen, sehnt sich mein Herr schon nach dem Rachen eines anderen Todes! Jedermann weiß, daß die Hetiter schlimmer als Raubtiere sind, daß sie Menschenfleisch essen, den Fremden die Augen ausstechen und sie schwere Steinmühlen drehen lassen. Die Götter haben meinen Herrn mit Wahnsinn geschlagen! Du, Minea, bist verrückt genug, ihn zu verteidigen! Wir täten besser daran, unsern Herrn zu fesseln, in ein verschlossenes Zimmer zu sperren und ihm zur Beruhigung Blutegel in den Kniekehlen anzusetzen. Beim Skarabäus, kaum habe ich meinen früheren Leibesumfang wiedergewonnen, sollen wir ohne Grund von neuem eine anstrengende Reise unternehmen. Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde, um die närrischen Launen meines törichten Herrn auszustehen!« Infolgedessen mußte ich ihn wieder einmal mit dem Stock zur Ruhe bringen, und nachdem mir dies gelungen, sagte ich: »Dein Wille geschehe! Ich werde dich mit Kaufleuten geradenwegs nach Simyra schicken und deine Reise bezahlen. Dort wirst du bis zu meiner Rückkehr mein Haus verwalten. Ich habe dein ewiges Gejammer wahrlich satt.«
Da brauste Kaptah wieder auf: »Was hätte das für einen Sinn, und wie käme es überhaupt in Frage, daß ich meinen Herrn allein in das Land Chatti reisen ließe? Ebensogut könnte ich ein neugeborenes Lämmlein in einen Hundehof schlüpfen lassen! Mein Herz würde nie aufhören, mich eines solchen Verbrechens anzuklagen. Deshalb stelle ich dir nur eine Frage, die du nach bestem Wissen beantworten sollst: Ist das Land Chatti etwa nur auf dem Seeweg erreichbar?«
Ich erklärte ihm, daß trotz der gegenteiligen Behauptungen mancher Leute meines Wissens kein Meer zwischen dem Lande Chatti und dem Lande Mitani liege und die Dauer der Reise unbestimmt sei. Hierauf meinte Kaptah: »Gesegnet sei mein Skarabäus! Hätten wir den Seeweg nehmen müssen, so hatte ich dich nicht begleiten können, weil ich den Göttern aus Gründen, die zu erklären zu weit führen würde, gelobt habe, nie mehr meinen Fuß auf ein Seeschiff zu setzen. Nicht einmal dir oder dieser Minea mit ihren frechen Jungenmanieren zuliebe könnte ich das Gelübde brechen, das ich den Göttern, deren Namen ich, wenn nötig, sogleich aufzählen kann, abgelegt habe.«
Nach diesen Worten begann er unsere Sachen zusammenzutragen und die Vorbereitungen für die Reise zu treffen. Ich überließ ihm alles, weil er in diesen Dingen mehr Erfahrung besaß als ich.
3
Ich habe bereits erwähnt, was man im Lande Mitani über die Hetiter berichtete. Nunmehr will ich nur erzählen, was ich mit eigenen Augen gesehen und als Wahrheit erkannt habe. Aber ich weiß nicht, ob bei dem Schrecken, in den die Macht der Hetiter die ganze Welt versetzt hat, und bei allem, was über ihre Missetaten erzählt wird, noch irgendwer meinem Bericht Glauben schenken wird. Doch haben auch die Hetiter eine gute Seite, von der man lernen kann, obgleich sie ein gefährliches Volk sind, dessen Sitten sich von denjenigen der übrigen Welt unterscheiden. In ihrem Lande herrscht keineswegs eine solche Verwirrung, wie man behauptet; vielmehr herrschen dort Ordnung und Gehorsam, so daß man mit der nötigen Reiseerlaubnis in ihren Bergen sicherer als in jedem anderen Lande reist. Sollte jedoch ein Inhaber dieser Befugnis unterwegs einen Verlust erleiden oder gar ausgeplündert werden, so ersetzt ihm der König den Schaden doppelt, und sollte ein Reisender durch die Hand der Hetiter umkommen, so hinterlegt der König dessen Angehörigen eine Entschädigung, je nach dem Rang, den der Tote im Leben innegehabt.
Deshalb gestaltete sich denn auch die Reise mit den Gesandten des Königs von Mitani recht einförmig, und es gibt nicht viel darüber zu berichten; denn die Hetiter gaben uns die ganze Zeit mit ihren Streitwagen das Geleit und sorgten an den Lagerplätzen für Speise und Trank. Die Hetiter sind abgehärtet und fürchten weder Kälte noch Hitze; denn sie leben in unfruchtbaren Berggegenden und sind von Kindheit an mit den Strapazen der Gebirgsbewohner vertraut. Deshalb sind sie furchtlose Kämpfer, die sich selbst nicht schonen und weichliche Völker verachten und sich unterwerfen, während sie die tapferen, furchtlosen Völker verehren und deren Freundschaft suchen.
Auch gliedert sich ihr Volk in zahlreiche Stämme und Dörfer, über welche Fürsten mit unumschränkter Macht herrschen. Diese Fürsten unterstehen ihrerseits einem großen König, der in seiner Bergstadt Chattuschasch wohnt. Dieser ist zugleich ihr Oberpriester, Oberbefehlshaber und oberster Richter, so daß in ihm alle menschliche wie göttliche Macht vereint ist, mit der man die Völker beherrscht, und ich weiß keinen anderen König, dessen Macht so unbedingt wie die seinige wäre. Denn in anderen Ländern, auch in Ägypten, werden die Handlungen des Königs in höherem Maße, als man gemeinhin glaubt, durch die Priester und Richter bestimmt.
Nun will ich die Hauptstadt dieses Großkönigs in den Bergen beschreiben, obwohl ich weiß, daß kein Leser dieser Schilderung Glauben schenken wird.
Wenn man durch die verbrannte Grenzmark reist, wo die Bewachungstruppen den Herrn spielen, ihren Lohn aus dem Nachbarland holen und die Marksteine unbehindert nach Willkür versetzen, hat man doch keine Ahnung von dem Reichtum des Hetiterreiches; ebensowenig ahnt man diesen, wenn man ihre kargen Berge betrachtet, die im Sommer von der Sonne verbrannt und im Winter, wie man mir erzählte, von kalten Daunen bedeckt sind, was ich allerdings nicht selbst gesehen habe. Diese Daunen regnen nämlich vom Himmel auf die Erde herab und decken sie zu, während sie beim Nahen des Sommers zu Wasser schmelzen. Ich habe so viele Wunder im Lande der Hetiter gesehen, daß ich auch an diese Wunder glaube, obwohl ich nicht verstehe, wie sich Daunen in Wasser verwandeln können. Jedenfalls sah ich mit eigenen Augen einige Berggipfel, die weiß von Daunen waren.
Auf der versengten Ebene an der syrischen Grenze liegt die Grenzfestung der Hetiter, Karkemisch, deren Mauern aus gewaltigen Steinblöcken aufgeführt und mit furchtbaren Bildern behauen sind. Gestützt auf diese Festung, erheben sie Steuern von allen durchziehenden Karawanen und Kaufleuten und sammeln dadurch große Reichtümer; denn die Steuern sind beträchtlich, und Karkemisch liegt an der Kreuzung vieler Karawanenstraßen. Wer einmal diese Festung schreckenerregend im Morgengrauen auf ihrem Berg inmitten der Ebene aufragen sah, über welcher die Raben krächzend flatterten, um auf menschliche Schädel und Gebeine herabzustoßen, wird meinem Bericht über die Hetiter Glauben schenken und nicht an meinen Worten zweifeln. Den Karawanen und Kaufleuten ist die Durchreise durch das Land nur auf bestimmten Wegen gestattet; die Dörfer an diesen Wegen sind einfach und armselig, und die Reisenden sehen wenig bebauten Boden. Wenn aber jemand vom vorgeschriebenen Weg abweicht, wird er gefangengenommen, seiner Waren beraubt und zum Sklavendienst in die Bergwerke geschleppt.
Denn der Reichtum der Hetiter stammt, glaube ich, aus den Gruben, wo ihre Gefangenen und Sklaven Frondienste leisten und wo außer Gold und Kupfer noch ein anderes unbekanntes Erz gewonnen wird, das grau und blau schimmert und härter als alle anderen Metalle und so kostbar ist, daß es in Babylonien zur Herstellung von Schmuck verwendet wird, während die Hetiter ihre Waffen daraus schmieden. Auf welche Art man aber dieses Metall schmieden und formen kann, weiß ich nicht; denn in keinem anderen Lande bringt man es fertig. Auch schmilzt es nicht in der Hitze, bei welcher das Kupfer flüssig wird. Davon habe ich mich selbst überzeugt. Außer den Gruben besitzen die Hetiter zwischen den Bergen fruchtbare Täler mit klaren Bächen; sie pflanzen Obstbäume, von denen ganze Wälder die Hänge bedecken, und in den Küstengegenden bauen sie Wein. Der größte für jedermann sichtbare Reichtum liegt in den Viehherden.
Wenn man von den großen Weltstädten spricht, zählt man Theben und Babylon und zuweilen auch Ninive auf, wo ich allerdings nicht gewesen bin. Aber ich habe niemals Chattuschasch, die Hauptstadt der Hetiter und den Sitz ihrer Macht, nennen hören, die wie der Horst des Adlers mitten in seinem Jagdrevier hoch in den Bergen liegt. Trotzdem ist diese Großstadt mit Theben und Babylon vergleichbar. Beim Gedanken an ihre schreckenerregenden, aus behauenen Steinblöcken aufgeführten, berghohen Bauten und an ihre Mauern, die stärker und unbezwingbarer als alle anderen Bollwerke sind, die ich je gesehen, muß ich sagen, daß ich diese Stadt für das größte Wunder halte, das ich je geschaut, und daß ich niemals derartiges erwartet habe. Das Geheimnis dieser Stadt hängt damit zusammen, daß ihr König sie für alle Fremden mit Ausnahme der Gesandten der Herrscher abgeschlossen hat; diese allein dürfen sie betreten und ihm begegnen und Geschenke bringen; doch auch sie werden während ihres Aufenthaltes in Chattuschasch aufs strengste überwacht. Deshalb sprechen die Einwohner der Stadt nicht gerne mit Fremden, selbst wenn sie deren Sprache beherrschen. Richtet man aber eine Frage an sie, so antworten sie: »Ich verstehe nicht«, oder: »Ich weiß nicht« und blicken sich dabei scheu um in Furcht, daß jemand sie im Gespräch mit Fremden überraschen könnte. Trotzdem sind sie keineswegs ungefällig, sondern eher freundlich, bestaunen gerne die Kleidung der Fremden, falls diese schön ist, und folgen ihnen auf der Straße.
Die Kleider ihrer eigenen Vornehmen und Staatsbeamten sind ebenso prachtvoll wie diejenigen der Fremden und der königlichen Gesandten; denn sie tragen farbige, mit Stickereien in Gold und Silber verzierte Gewänder, und diese Stickereien stellen oft die Mauerkrone und die Doppelaxt, die Wahrzeichen ihrer Götter, dar. Auf ihren Festkleidern entdeckt man auch oft das Bildnis einer beflügelten Sonne. An den Füßen tragen sie Stiefel aus weichem, farbigem Leder mit langen, aufwärts gebogenen Spitzen und auf dem Kopf hohe, spitze Hüte, und ihre weiten Ärmel hängen bis zum Boden, den auch die kunstvoll gefältelten Röcke streifen. Von den Bewohnern Syriens, Mitanis und Babyloniens unterscheiden sie sich dadurch, daß sie sich in der Art der Ägypter das Kinn und einige Vornehme sich sogar den Kopf rasieren und nur oben auf dem Schädel ein Haarbüschel stehen lassen, um es zu flechten. Sie haben breite, kräftig entwickelte Kinne und große, gebogene Raubvogelnasen. Die Regierungsmänner und die Reichen der Stadt sind beleibt und besitzen fettglänzende Gesichter; denn sie haben sich, ganz wie die Begüterten anderer Großstädte, an ein üppiges Leben gewöhnt.
Im Gegensatz zu den zivilisierten Völkern halten sie keine Söldnertruppen; bei ihnen ist jedermann Soldat, und den Stand eines Mannes bestimmt sein Kriegerrang. Diejenigen, die sich einen Streitwagen halten können, sind die Vornehmsten, und deren Rang wird nicht von ihrer Herkunft, sondern von ihrer Geschicklichkeit im Waffengebrauch bestimmt. Deshalb versammeln sich auch sämtliche Männer unter Leitung ihrer Befehlshaber und Fürsten alljährlich zu Kampfübungen. Auch treibt Chattuschasch im Unterschied zu anderen Großstädten keinen Handel, sondern ist voll von Schmieden und Werkstätten, aus denen unablässig der Klang der Schmiedehämmer auf die Straße dringt, denn dort werden die Spitzen der Speere und Pfeile sowie die Räder und Gestelle der Streitwagen angefertigt.
Ihre Rechtspflege unterscheidet sich ebenfalls von derjenigen aller anderen Völker. Ihre Strafen sind seltsam und eigenartig. Zettelt ein Fürst gegen den König eine Verschwörung an und erstrebt er selbst die Königswürde, so wird er dafür nicht umgebracht, sondern in ein Grenzland versetzt, um dort seine Tüchtigkeit zu beweisen und sein Ansehen wiederherzustellen. Es gibt überhaupt nicht viele Verbrechen, die nicht durch Gaben gesühnt werden können. Ein Mann kann einen anderen töten, ohne dafür Körperstrafe zu erleiden; er muß nur den hinterbliebenen Angehörigen des Toten durch Geschenke ihren Verlust ersetzen. Auch Ehebruch ist nicht strafbar. Wenn eine Frau einen Mann findet, der ihr Verlangen besser befriedigt als ihr Gatte, so besitzt sie das Recht, ihr Heim zu verlassen und zu dem anderen überzusiedeln, der jedoch eine Entschädigung für sie bezahlen muß. Kinderlose Ehen werden öffentlich aufgelöst; denn der Krieg fordert von seinen Untertanen zahlreiche Kinder. Wenn ein Mann einen anderen an einem verlassenen Ort totschlägt, braucht er nicht so viel zu zahlen, wie wenn der Totschlag in der Stadt vor Zuschauern stattgefunden hätte; denn man ist der Ansicht, daß ein Mann, der allein einen einsamen Ort aufsucht, andere absichtlich in Versuchung führt, ihn umzubringen, um sich in der Kunst des Tötens zu üben. Nur zwei Dinge gibt es, die zu einem Todesurteil führen, und diese liefern den deutlichsten Beweis für die Unvernunft der Hetiter in Rechtsangelegenheiten. Bei Todesstrafe ist nämlich die Ehe zwischen Geschwistern verboten, und niemand darf ohne Erlaubnis Zauberei ausüben. Die Zauberer müssen erst ihre Fähigkeit durch die Behörde prüfen lassen und von diesen die schriftliche Befugnis zur Ausübung ihres Berufes erlangen.
Bei meiner Ankunft im Land der Hetiter hatte ihr großer König Schubbiluliuma bereits achtundzwanzig Jahre lang geherrscht und war so gefürchtet, daß die Menschen, sobald sie seinen Namen hörten, sich verneigten, die Hände in die Höhe streckten und laut sein Lob verkündeten; denn er hatte Ordnung im Lande Chatti eingeführt und zahlreiche Völker der Macht der Hetiter unterworfen. Er bewohnte einen Steinpalast mitten in der Stadt, viele Sagen berichteten von seiner Geburt und seinen Heldentaten im Krieg, wie dies bei allen großen Königen der Fall ist. Ihn selbst aber bekam ich nicht zu Gesicht, und nicht einmal die Gesandten Mitanis wurden vorgelassen, sondern mußten die mitgebrachten Geschenke unter dem Gelächter und Spott der königlichen Soldaten im Empfangstempel auf den Boden legen.
Anfangs machte es nicht den Anschein, als gäbe es für einen Arzt in Chattuschasch viel zu tun. Soviel ich sehen konnte, schämten sich die Hetiter jeder Krankheit und suchten diese so lange wie möglich zu verbergen; schwache und mißgestaltete Kinder wurden sofort bei der Geburt getötet und kranke Sklaven umgebracht. Deshalb besaßen ihre Ärzte auch keine großen Kenntnisse, sondern waren ungebildete Leute, die nicht einmal lesen konnten; hingegen waren sie geschickt im Behandeln von Wunden und Quetschungen, und auch gegen die Krankheiten des Berglandes besaßen sie wirkungsvolle Mittel, welche die Körperhitze rasch verminderten. In dieser Hinsicht konnte ich von ihnen lernen. Wenn aber einer von einer tödlichen Krankheit befallen wurde, suchte er lieber den Tod als Heilung, weil er befürchtete, für den Rest des Lebens schwach oder gebrechlich zu bleiben. Die Hetiter fürchteten sich nämlich nicht wie die zivilisierten Völker vor dem Tod, sondern fürchteten mehr als ihn körperliche Schwäche.
Schließlich aber sehen sich alle Großstädte ähnlich und bleiben sich auch die reichen und vornehmen Leute aller Länder gleich. Nachdem mein Ruf bekanntgeworden, kam daher eine ganze Menge Hetiter in die Herberge, um bei mir Heilung zu suchen. Ich kannte ihre Krankheiten und heilte sie im geheimen oder im Schutz der Finsternis, um ihr Ansehen zu wahren. Deshalb waren sie auch mit ihren Geschenken freigebig, so daß ich allmählich eine Menge Gold und Silber verdiente, obgleich ich anfangs geglaubt hatte, die Stadt als Bettler verlassen zu müssen. Dies war zum großen Teil Kaptahs Verdienst. Denn seiner Gewohnheit gemäß vertrieb er sich die Zeit in den Bierstuben und Basaren und überall, wo viele Menschen versammelt waren, und prahlte laut in allen Sprachen, die er kannte, mit meinem Ruf und meiner Kunst, bis die Diener wiederum ihren Herrn über mich berichteten.
Die Sitten des Landes waren streng. Ein vornehmer Hetiter konnte sich nicht betrunken auf der Straße zeigen, ohne sein Ansehen zu verlieren. Aber wie in allen Großstädten, so tranken auch hier die Vornehmen und Reichen beträchtliche Mengen Wein, darunter auch gefährlich gemischte Sorten, und ich heilte die dadurch verursachten Leiden, sorgte dafür, daß ihre Hände nicht zitterten, wenn sie vor den König traten, und einigen trieb ich durch Bäder und Beruhigungsmittel die Mäuse, die angeblich an ihnen nagten, aus dem Leib. Auch ließ ich zu ihrer Unterhaltung Minea tanzen, und sie bewunderten sie und machten ihr kostbare Geschenke, ohne etwas von ihr zu verlangen. Denn die Hetiter sind freigebig, wenn etwas ihr Gefallen erweckt. Auf diese Art gewann ich ihre Freundschaft und wagte mich unter der Hand über allerlei Dinge zu erkundigen, nach denen ich nicht offen hätte forschen können. Das meiste erfuhr ich durch den königlichen Archivar, der viele Sprachen in Wort und Schrift beherrschte, den Briefwechsel des Königs mit dem Ausland führte und nicht durch die allgemeinen Sitten gebunden war. Ich ließ ihn allerdings glauben, daß ich aus Ägypten vertrieben worden sei und nie mehr dorthin zurückkehren könne, weshalb ich ausschließlich zu dem Zweck, Gold zu sammeln und meine Kenntnisse zu bereichern, alle Länder bereise. Er vertraute mir und beantwortete meine Fragen, wenn ich ihm nur guten Wein anbot und Minea vor ihm tanzen ließ. Unter anderem fragte ich ihn: »Warum bleibt Chattuschasch den Fremden verschlossen? Warum müssen Karawanen und Kaufleute vorgeschriebene Wege benützen, wo doch euer Land so reich ist und die Sehenswürdigkeiten eurer Stadt mit denjenigen jeder anderen Stadt wetteifern können? Wäre es nicht besser, andere Völker lernten eure Macht kennen, um euch und euer Land nach Verdienst zu preisen?«
Er kostete den Wein und betrachtete mit lüsternen Augen Mineas schlanke Glieder; dann sagte er: »Bei seiner Thronbesteigung sprach unser großer König Schubbiluliuma: ›Gebt mir dreißig Jahre – und ich mache aus dem Lande Chatti das mächtigste Reich, das die Welt je gesehen hat.‹ Diese Zeit ist nun bald verstrichen, und ich glaube, daß die Welt binnen kurzem mehr über das Land Chatti erfahren wird, als ihr lieb sein dürfte.«
»In Babylon«, fuhr ich fort, »sah ich sechzig mal sechzig mal sechzig Soldaten an ihrem König vorüberziehen, und ihre Schritte klangen wie Meeresrauschen. Hier habe ich vielleicht zehn mal zehn Soldaten gleichzeitig versammelt gesehen; ich verstehe nicht, was ihr mit all den Streitwagen macht, die in euren Werkstätten angefertigt werden. Was wollt ihr in den Bergen mit ihnen anfangen? Sie eignen sich doch nur für den Kampf auf ebenem Feld.«
Er meinte lachend: »Für einen Arzt bist du eigentlich sehr neugierig, Sinuhe, Ägypter! Vielleicht aber verdienen wir unser karges Brot dadurch, daß wir den Königen der Flachländer Streitwagen verkaufen.« Diese Worte äußerte er mit verkniffenen Augen und pfiffiger Miene.
»Das glaube ich nicht«, entgegnete ich kühn. »Ebensogern würde ein Wolf dem Schaf seine Zähne und dem Hasen seine Krallen leihen.« Er lachte und schlug sich auf die Knie, daß der Wein aus dem Becher spritzte, und sagte: »Das muß ich dem König erzählen. Vielleicht wirst du noch eine große Hasenjagd erleben; denn das Recht der Hetiter ist ein anderes als das der Flachländer. Soviel ich verstanden habe, herrschen in eurem Lande die Reichen über die Armen, bei uns aber sind es die Starken, welche die Schwachen beherrschen; und ich glaube, Sinuhe, die Welt wird eine neue Lehre kennenlernen, ehe dein Haar ergraut ist.«
»Auch der jetzige Pharao Ägyptens hat einen neuen Gott gefunden«, sagte ich mit erheuchelter Einfalt.
»Ich weiß es«, sagte er, »da ich alle Briefe meines Königs lese; dieser neue Gott ist äußerst friedliebend und behauptet, es gebe keinen Zwist unter den Völkern, der nicht in Eintracht gelöst werden könne. Gegen diesen Gott haben wir nichts einzuwenden, sondern sind im Gegenteil sehr zufrieden, solange er in Ägypten und den Flachlanden herrscht. Euer Pharao hat unserem großen König ein ägyptisches Kreuz gesandt, das er als Symbol des Lebens bezeichnet; sicherlich werden ihm noch einige Friedensjahre vergönnt sein, wenn er uns nur reichlich Gold schickt, damit wir noch mehr Kupfer und Eisen und Getreide lagern, neue Werkstätten bauen und noch schwerere Streitwagen als bisher anfertigen können. All das verschlingt viel Gold, und unser König hat die geschicktesten Waffenschmiede aller Länder nach Chattuschasch berufen und entlohnt sie reichlich. Doch warum er dies tut, ist eine Frage, die zu beantworten die Weisheit eines Arztes kaum ausreichen dürfte.«
»Eine Zukunft, wie du sie prophezeist«, sagte ich, »könnte wohl Raben und Schakale erfreuen, nicht aber mich. Auch finde ich keinen Grund zum Lachen. Denn ich habe gesehen, daß die Steine in euren Getreidemühlen von Gefangenen mit ausgestochenen Augen gedreht werden, und über eure in den Grenzländern verübten Missetaten erzählt man sich in Mitani Dinge, die ich lieber nicht wiederhole, um deine Ohren nicht zu beleidigen; denn solches steht keinem Kulturvolk an.«
»Was ist Kultur?« fragte er, indem er sich wieder Wein einschenkte. »Auch wir können lesen und schreiben und verwahren numerierte Lehmtafeln in unserem Archiv. Wenn wir den Gefangenen, die ihr Leben lang Mühlsteine drehen müssen, die Augen ausstechen, geschieht es aus lauter Menschenfreundlichkeit. Sie würden diese an und für sich schon mühsame Arbeit noch schwerer empfinden, wenn sie dabei den Himmel, die Erde und die Vögel in der Luft sehen könnten. Dies würde bloß eitle Gedanken in ihnen erwecken, und bei ihren Fluchtversuchen würden sie getötet werden. Wenn unsere Soldaten in den Grenzgebieten einigen Gegnern die Hände abhacken und anderen die Kopfhaut über die Augen herabziehen, so geschieht auch dies nicht aus Grausamkeit. Wie du selbst gesehen, sind wir in unseren Heimen gastfrei und freundlich; wir lieben Kinder und kleine Tiere und schlagen auch unsere Frauen nicht. Aber unsere Absicht ist es, unter den feindlichen Völkern Angst und Grauen zu erregen, damit sie sich uns zur gegebenen Zeit kampflos unterwerfen und sich selbst dadurch unnütze Schädigung und Verderbnis ersparen. Wir lieben Schaden und Verheerung an und für sich durchaus nicht, sondern möchten uns die Länder so unversehrt und die Städte so unbeschädigt wie möglich unterwerfen. Ein Feind, der die Furcht kennt, ist schon halbwegs besiegt.«
»Sind denn alle Völker eure Feinde?« fragte ich höhnisch. »Habt ihr gar keine Freunde?«
»Alle Völker, die sich unserer Macht unterwerfen und uns Steuern zahlen, sind unsere Freunde«, belehrte er mich. »Wir lassen ihnen ihr Eigenleben und vermeiden es nach Möglichkeit, ihre Sitten und Götter zu verletzen, wenn wir sie nur beherrschen dürfen. Im allgemeinen sind auch alle uns nicht benachbarten Völker unsere Freunde bis zu dem Tag, da sie unsere Nachbarn sein werden. Dann entdecken wir bei ihnen oft abstoßende Züge, die der nachbarlichen Eintracht schaden und uns zwingen, Krieg gegen sie zu führen. So ist es bis jetzt gegangen und wird es, fürchte ich, auch weiterhin gehen, wenn ich unseren großen König recht kenne.«
»Haben eure Götter in dieser Hinsicht nichts zu sagen?« fragte ich. »In anderen Ländern entscheiden oft die Götter über Recht und Unrecht.«
»Was ist Recht und was Unrecht?« fragte er seinerseits. »Für uns ist Recht, was wir wünschen, und Unrecht, was die Nachbarvölker wünschen. Das ist eine einfache Lehre, die das Leben und die Staatskunst erleichtert und sich meines Erachtens nicht merklich von der Religion der Flachländer unterscheidet; denn wenn ich richtig verstanden habe, halten die Götter der Ebene das, was die Reichen wünschen, für Recht, und das, was die Armen wünschen, für Unrecht. Wenn du aber wirklich etwas über unsere Götter zu wissen wünschest, kann ich dir sagen, daß unsere einzigen Götter die Erdmutter und der Himmel sind und daß wir diese jeden Frühling feiern, wenn der erste Regen des Himmels die Erde befruchtet. Bei diesen Feiern lockern wir ein wenig die Strenge unserer Sitten; denn auch das Volk muß sich einmal im Jahr austoben können. Deshalb werden zur Zeit dieser Feste viele Kinder gezeugt. Das ist gut; denn Kinder und frühe Ehen bedeuten einen Kraftzuschuß für das Land. Natürlich verehrt unser Volk, wie jedes andere, außerdem eine Reihe kleiner Götter. Aber diese brauchst du nicht in Betracht zu ziehen; denn sie haben keine Bedeutung für den Staat. Du kannst also nicht leugnen, daß unserer Religion eine gewisse Großzügigkeit eigen ist, wenn ich mich so ausdrücken darf.«
»Je mehr ich über die Götter erfahre, desto überdrüssiger werde ich ihrer«, sagte ich niedergeschlagen. Aber der Archivar des Königs Schubbiluliuma lachte und lehnte sich, vom Wein gesättigt und die dicke Nase gerötet, auf seinem Sitz zurück. »Wenn du ein Mann von Weitblick bist«, sagte er, »bleibst du bei uns, um unseren Göttern zu dienen; denn alle anderen Völker haben bereits der Reihe nach die bekannte Welt beherrscht, und jetzt ist die Reihe an uns gekommen. Unsere Götter sind über alle Maßen stark, ihr Name heißt Macht und Angst, und wir werden ihnen gewaltige Altäre aus gebleichten Menschenschädeln errichten. Ich verbiete dir auch nicht, dies weiterzuerzählen, falls du so dumm sein solltest, uns zu verlassen. Denn keiner wird dir Glauben schenken, weil ja alle wissen, daß die Hetiter ein armes, schmutziges Hirtenvolk sind, das mit seinen Schafen in den Bergen lebt und nur die Weiden liebt. Aber ich habe bereits viel zuviel Zeit mit dir verloren und muß mich beeilen, nach meinen Schreibern zu sehen und Keilzeichen in weichen Lehm zu drücken, um alle Völker von unseren guten Absichten zu überzeugen.«
Er ging seines Weges, und am selben Abend sprach ich zu Minea: »Ich habe nun genug über das Land Chatti erfahren und das, was ich suchen kam, gefunden. Deshalb bin ich bereit, falls die Götter es gestatten, dieses Land, an dessen Leichengestank ich ersticke, mit dir zu verlassen. Wahrlich, solange wir hier verweilen, lastet der Tod wie ein erdrückender Schatten über mir, und ich bezweifle nicht, daß der König der Hetiter mich auf einen Pfahl spießen lassen würde, wenn er wüßte, was ich alles erfahren. Deshalb ist mein Magen krank, solange ich innerhalb der Grenzsteine dieses Landes weilen muß. Nach allem, was ich hier gehört, möchte ich eher als Rabe denn als Mensch geboren sein.«
Mit der Hilfe meiner vornehmen Patienten gelang es, mir eine Erlaubnis zu beschaffen, die uns berechtigte, auf einem bestimmten Weg zur Küste zu reisen und dort an Bord eines Schiffes zu gehen, um das Land zu verlassen, obgleich die Patienten meine Abreise sehr bedauerten und mir empfahlen, dazubleiben, und mir versicherten, daß ich in einigen Jahren ein reicher Mann wäre, wenn ich mit der Ausübung meines Berufes unter ihnen fortführe. Niemand aber dachte daran, meine Abreise zu verhindern, und ich lächelte die Leute an und erzählte ihnen Geschichten, die ihnen Spaß machten, so daß wir uns in Freundschaft trennten und ich reichliche Abschiedsgeschenke erhielt. So verließen wir Chattuschasch, hinter dessen furchtbaren Mauern die Welt der Zukunft lauerte. Wir ritten auf Eseln an dröhnenden Steinmühlen, die von geblendeten Sklaven gedreht wurden, und an Leichen von Zauberern vorüber, die zu beiden Seiten des Weges aufgespießt waren. Als Zauberer aber wurden in Chattuschasch alle diejenigen umgebracht, die nichtgenehmigte Lehren verkündeten, und der Staat billigte nur eine einzige Lehre. Ich beschleunigte unsere Reise, so gut es ging, und nach zwanzig Tagen langten wir in der Hafenstadt an.
4
Wir hielten uns einige Zeit in dieser Hafenstadt auf, obwohl sie eine lärmende Stätte des Lasters und Verbrechens war; denn sooft wir ein nach Kreta bestimmtes Schiff sahen, erklärte Minea: »Es ist zu klein und könnte leicht in Seenot geraten; ich habe keine Lust, noch einmal Schiffbruch zu erleiden.« Sahen wir aber ein größeres Schiff, so meinte sie: »Es ist ein syrisches Schiff; mit einem solchen will ich nicht reisen.« Von einem Schiff dritter Art wiederum erklärte sie: »Der Kapitän hat den bösen Blick, und ich befürchte, daß er die Reisenden als Sklaven in fremde Länder verkaufen wird.«
So kam es, daß wir in der Hafenstadt blieben, worüber ich nicht ungehalten war; denn ich hatte genügend damit zu tun, Wunden auszuwaschen und zuzunähen und zertrümmerte Schädel zu öffnen. Auch der Befehlshaber der Hafenwache vertraute sich mir an. Er litt an einer Krankheit, die ihn am Verkehr mit Frauen hinderte, weil sie ihm dabei große Schmerzen bereitete. Ich aber kannte diese Krankheit bereits aus Simyra und vermochte sie mit dem von den dortigen Ärzten verwendeten Mittel zu heilen, und als er sich wieder ohne Beschwerden mit den Mädchen des Hafens ergötzen konnte, kannte seine Dankbarkeit mir gegenüber keine Grenzen. Dies gehörte nämlich zu seinen Gehaltsgebühren: jedes Mädchen, das seinen Beruf im Hafen ausüben wollte, mußte sich ihm und seinen Schreibern ohne Entschädigung hingeben. Deshalb war er unzufrieden gewesen, dieses Vorrecht nicht ausnützen zu können.
Nachdem ich ihn geheilt, sagte er zu mir: »Was kann ich dir, Sinuhe, als Belohnung für deine große Geschicklichkeit schenken? Soll ich das Ding, das du geheilt hast, in Gold abwägen lassen und dir das Gold geben?« Ich aber erwiderte: »Ich will dein Gold nicht. Gib mir das Messer aus deinem Gurt, dann bin ich dir zu Dank verpflichtet, und nicht du mir; ich möchte ein dauerndes Andenken an dich besitzen.« Er aber sträubte sich und sagte: »Dieses Messer ist zu einfach; längs seiner Klinge laufen keine Wölfe, und sein Heft ist nicht versilbert.« Doch das sagte er, weil das Messer aus dem Metall der Hetiter angefertigt und es nicht erlaubt war, solche an Fremde zu verschenken oder zu verhandeln. Deshalb war es mir auch nicht gelungen, in Chattuschasch eine Waffe dieser Art zu erstehen. Ich wollte nämlich nicht allzu dringlich auftreten, um nicht etwa Mißtrauen zu erregen. Solche Messer besaßen nur die Vornehmsten Mitanis; ihr Preis betrug zehnmal ihr Gewicht in Gold und vierzehnmal ihr Gewicht in Silber. Trotzdem wollten die Besitzer sie nicht verkaufen; denn es gab nur ganz wenige derartige Messer in der bekannten Welt. Für einen Hetiter aber besaß das Messer keinen besonders großen Wert, da er es ja keinem Fremden verkaufen durfte.
Der Befehlshaber der Hafenwache jedoch wußte, daß ich das Land bald verlassen würde, und dachte sich wohl, er könne sein Gold für Besseres verwenden, als es einem Arzt zu schenken. Deshalb gab er mir schließlich das Messer. Es war so scharf, daß es die Barthaare glatter und leichter entfernte als das beste Steinmesser, und man konnte damit Kerben in Kupfer schlagen, ohne daß die Schneide im geringsten litt. Ich freute mich ungemein über dieses Messer und beschloß, es versilbern und mit einem Heft aus Gold versehen zu lassen, wie die Vornehmen in Mitani taten, wenn sie ein solches erworben hatten. Der Befehlshaber der Hafenwache war auch nicht unzufrieden, und wir wurden gute Freunde, nachdem ich sein Leiden bleibend geheilt hatte. Ich riet ihm jedoch, das Mädchen, das sein Leiden verursacht hatte, aus dem Hafen vertreiben zu lassen, worauf er erklärte, er habe es bereits aufspießen lassen, weil eine solche Krankheit offensichtlich von Zauberei herrühre.
In dieser Stadt gab es, wie in vielen anderen Hafenstädten jener Zeit, ein Feld, auf dem man wilde Stiere hielt und wo sich die Jugend im Stierkampf Gelenkigkeit und Mut holen konnte, indem sie den Tieren Picken ins Genick stieß oder über sie hinwegsprang. Beim Anlick der Stiere geriet Minea in Entzücken und wollte ihre Fertigkeit prüfen. So kam es, daß ich sie zum erstenmal vor wilden Stieren tanzen sah. Nie zuvor hatte ich etwas Ähnliches gesehen; aber das Schauspiel ließ mein Herz vor Grauen erstarren. Denn ein wilder Stier ist das furchtbarste aller wilden Tiere und sogar gefährlicher als ein Elefant, der friedlich bleibt, solange man ihn nicht reizt. Die Hörner des Stieres sind lang und scharf wie ein Pfriem; er schlitzt mit Leichtigkeit einem Menschen den Leib auf, um ihn dann hoch in die Luft zu schleudern und unter den Füßen zu zertreten.
Minea aber tanzte in einem leichten Gewand vor den Stieren und wich ihnen mühelos aus, wenn sie brüllend und mit gesenktem Nacken auf sie losstürmten. Ihr Gesicht glühte, sie erhitzte sich und schleuderte das silberne Haarnetz von sich, so daß ihr Haar im Wind flatterte, so schnellfüßig tanzte sie, daß das Auge ihren Bewegungen kaum zu folgen vermochte; sie schwang sich einem angreifenden Stier zwischen den Hörnern hindurch in den Nacken und stemmte, sich an den Hörnern festhaltend, die Füße gegen seine Stirn, um dann in die Luft zu springen, sich zu überschlagen und wieder aufrecht auf dem Rücken des Stiers zu landen. Ich bewunderte ihre Geschicklichkeit und glaube, daß meine Anwesenheit sie dazu antrieb, Kunststücke zu zeigen, die ich nie für möglich gehalten hätte. Deshalb lief mir bei diesem Anblick der Schweiß aus den Poren, und ich konnte nicht mehr still auf der Zuschauertribüne verharren, obgleich mich die hinter mir sitzenden Zuschauer ausschimpften und am Achseltuch rissen.
Als Minea schließlich das Feld verließ, wurde sie stürmisch gefeiert, man wand ihr Blumenkränze um Haupt und Hals, und die Jugend verehrte ihr eine seltsame Schale, die mit Stieren in Rot und Schwarz bemalt war. Alle sagten: »Noch nie haben wir etwas Derartiges gesehen.« Und die Schiffskapitäne, die Kreta besucht hatten, meinten, indem sie den Weindunst aus den Nasenlöchern bliesen: »Nicht einmal auf Kreta dürfte es eine so hervorragende Stiertänzerin geben.«
Sie aber kam zu mir und lehnte sich an mich, und ihr dünnes Gewand war durchnäßt von Schweiß. Ihr schlanker, geschmeidiger Körper schmiegte sich an mich, jeder Muskel zitterte vor Müdigkeit und Stolz, und ich sprach zu ihr: »Noch nie habe ich eine Frau wie dich gesehen.« Mein Herz aber war schwer von Wehmut; denn nachdem ich ihren Stiertanz gesehen, wußte ich, daß die Stiere sie gleich einem bösen Zauber von mir trennten.
Bald darauf lief ein Schiff aus Kreta im Hafen ein. Es war weder zu groß noch zu klein, und sein Kapitän hatte nicht den bösen Blick, sondern sprach ihre eigene Sprache. Deshalb sagte Minea: »Dieses Schiff führt mich sicher in meine Heimat und zu meinem Gott zurück. Nun wirst du mich wohl verlassen und dich von Herzen freuen, mich los zu sein, nachdem ich dir soviel Mühe und Schaden zugefügt.« Ich erwiderte: »Du weißt ganz genau, Minea, daß ich dich nach Kreta begleite.« Sie schaute mich an, und ihre Augen waren wie das Meer im Mondenschein. Sie hatte sich die Lippen gefärbt, und ihre Brauen bildeten schmale schwarze Bogenstriche über den Augen, als sie sagte: »Ich verstehe ganz und gar nicht, Sinuhe, warum du mich begleiten willst, obwohl mich das Schiff geradenwegs in meine Heimat führt, ohne daß mir Schlimmes zustoßen kann.« Ich entgegnete: »Du weißt es ganz genau, Minea.«
Da legte sie ihre langen, kräftigen Finger in meine Hand, seufzte und sagte: »Ich habe viel mit dir zusammen erlebt, Sinuhe, und verschiedene Völker kennengelernt, weshalb sich die Erinnerung an meine Heimat in meinem Innern verdunkelt hat und mir nur noch wie ein schöner Traum erscheint; auch sehne ich mich nicht mehr so stark wie zuvor nach meinem Gott. Deshalb habe ich, wie du wohl weißt, die Reise immer wieder aus irgendeinem Vorwand verschoben. Aber als ich vor den Stieren tanzte, erkannte ich von neuem, daß ich sterben würde falls du mich berührtest.« Ich sagte: »Ja, ja, ja, darüber haben wir schon oft vergeblich gesprochen, und ich habe auch nicht vor, dich zu berühren. Die Sache dürfte es nicht wert sein, deinen Gott zu erzürnen! Jede beliebige Sklavin kann mir schließlich das gewähren, was du mir verweigerst, und es besteht, wie Kaptah sagt, kein Unterschied darin.«
Da funkelten ihre grünen Augen wie die einer Wildkatze in der Finsternis, sie grub ihre Nägel in meine Hand und fauchte: »Geh schnell zu deiner Sklavin, denn dein Anblick ist mir widerwärtig! Lauf geradenwegs zu den schmutzigen Mädchen des Hafens, da du dich nach ihnen sehnst! Aber wisse, daß ich dich dann nicht mehr kennen und vielleicht mit deinem eigenen Messer dein Blut zum Rinnen bringen werde. Worauf ich verzichten kann, dam kannst auch du entsagen!« Ich lächelte sie an: »Mir hat kein Gott es je verboten.« Sie aber wandte ein: »Ich verbiete es dir und rate dir nicht, zu mir zurückzukommen, wenn du es trotzdem tust.« Ich sagte zu ihr: »Beruhige dich, Minea. Ich bin der Sache, von der du sprichst, längst gründlich überdrüssig, und es gibt nichts Einförmigeres, als mit einer Frau fleischlich zu verkehren, weshalb ich, nachdem ich es bereits versucht habe, keine Sehnsucht verspüre, die Erfahrung zu erneuern.« Da erzürnte sie sich wiederum und sagte: »Deine Worte verletzen das Weib in mir zutiefst, und ich bin sicher, daß du in dieser Hinsicht meiner nicht überdrüssig werden würdest.« Somit konnte ich ihr allen Bemühungen zum Trotz nicht nach dem Mund reden, und zur Nacht legte sie sich nicht wie stets zuvor neben mich, sondern nahm ihren Teppich, ging in ein anderes Zimmer und bedeckte ihr Haupt zum Schlafen.
Da rief ich: »Minea! Warum wärmst du nicht wie zuvor meine Seite, da du doch jünger bist als ich und die Nächte kalt sind und ich vor Kälte auf meinem Teppich zittere?« Sie antwortete: »Du sprichst nicht die Wahrheit; denn ich bin heiß, als wäre ich krank. Ich kann in dieser schwülen Hitze kaum atmen. Deshalb ziehe ich vor, allein zu schlafen, und wenn du frierst, kannst du ein Kohlenbecken verlangen oder eine Katze zu dir nehmen. Stör mich jetzt nicht mehr!« Ich ging zu ihr hinüber und befühlte ihren Leib. Er war wirklich heiß und zitterte unter der Decke, weshalb ich sagte: »Vielleicht bist du krank. Laß mich dich heilen!« Sie aber strampelte unter der Decke, stieß mich von sich und sagte ärgerlich: »Geh deines Wegs! Ich zweifle wahrlich nicht daran, daß mein Gott meine Krankheit heilen wird.« Nach einer Weile aber sagte sie: »Gib mir trotzdem eine Arznei, Sinuhe, sonst bricht mein Herz und ich muß weinen.« Ich verabreichte ihr ein Beruhigungsmittel, so daß sie schließlich einschlief, während ich selbst die Nacht durchwachte, bis die Hunde des Hafens in der fahlen Morgendämmerung zu bellen begannen.
Der Tag unserer Abreise graute, und ich sprach zu Kaptah: »Suche unsere Sachen zusammen! Wir begeben uns an Bord eines Schiffes, um nach der Meerinsel Kreta, die auch Mineas Heimat ist, zu reisen.«
Aber Kaptah erwiderte: »Ich habe es geahnt und will meine Kleider nicht zerreißen, weil sie doch wieder zusammengenäht werden müßten; auch bist du in deiner Doppelzüngigkeit nicht wert, daß ich mir Asche ins Haar streue. Schwurst du etwa nicht beim Aufbruch aus Mitani, daß wir nicht über das Meer fahren müßten? Ich ahnte es, als ich dich wie einen Dieb im Hafen herumschleichen sah und mit dieser verfluchten Minea tuscheln hörte, die uns schließlich ins letzte Verderben führen wird. Ich fühlte es bereits, als ich sie zum erstenmal sah und sie mir mit dem Pantoffel die Nase blutig schlug, obwohl ich es nur gut mit ihr meinte. Aber ich habe meinen Sinn verhärtet und sagte nichts, weine auch nicht mehr, um nicht noch auf dem anderen Auge blind zu werden, so viele Tränen habe ich bereits in den verschiedenen Ländern, in die uns deine verdammte Torheit gebracht hat, deinetwegen vergossen. Nur so viel sage ich dir, daß dies meine letzte Reise sein wird! Ich will dir aber trotzdem keine Vorwürfe machen, wenn mich auch schon dein bloßer Anblick und der Geruch der Arzneien, der an dir haftet, anwidern. Die Sachen aber habe ich zusammengestellt und bin reisebreit; denn ohne den Skarabäus kannst du nicht in einem Schiff über das Meer reisen und kann ich selbst nicht auf dem Landweg lebend nach Simyra gelangen. Ich folge also dem Skarabäus, um entweder an Bord zu sterben oder mit dir im Meer zu ertrinken. Dabei besitze ich keinen anderen Trost als das Bewußtsein, daß du all das bereits an dem Tag, da du mich auf dem Sklavenmarkt zu Theben kauftest, mit deinem Stock auf mein Hinterteil geschrieben hast.«
Ich staunte sehr über Kaptahs Nachgiebigkeit, bis ich erfuhr, daß er sich unter den Seeleuten im Hafen bereits über allerlei Arzneien erkundigt und zu teurem Preis Zaubermittel gegen die Seekrankheit gekauft hatte. So band er sich vor der Abfahrt Amulette um den Hals, fastete und schnürte den Gürtel enger um den Bauch und trank einen berauschenden Pflanzensaft, worauf seine Augen beim Betreten des Decks wie diejenigen eines gekochten Fisches starrten. Dort bat er mit schwerer Zunge um fetten Speck, weil die Seeleute geschworen hatten, dies sei das beste Mittel gegen Seekrankheit. Dann legte er sich in seine Koje und schlief ein, in der einen Hand eine Speckschwarte, in der anderen den Skarabäus. Der Befehlshaber der Wache nahm unsere Lehmtafel und verabschiedete sich von mir, worauf die Schiffsknechte ihre Ruder ausstreckten und das Schiff aus dem Hafen hinaussteuerten. So begann unsere Reise nach Kreta. Als wir den Hafen hinter uns hatten, opferte der Kapitän dem Meergott und den geheimen Göttern in seiner Kabine und ließ die Segel hissen, so daß das Schiff schwankte und die Wellen zu pflügen begann und der Magen mir in die Kehle stieg; denn das Meer wogte endlos vor uns, und nirgends war Land zu sehen.